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Nach einer kurzen Nacht ging es am nächsten Morgen auch schon weiter: Die dritte Interrail-Etappe, von Vitoria-Gasteiz nach Vigo, stand an. Gegen 8 Uhr hatten wir bereits die Taschen gepackt und aus dem Hotel ausgecheckt, um noch etwas zu frühstücken und Snacks sowie Getränke zu besorgen. Denn es stand der wohl längste Reisetag bevor: Knapp 10 Stunden Reisezeit bis zum Ziel an der spanisch-portugiesischen Grenze.
In Spanien waren alle Züge reservierungspflichtig. Durch unsere späte Planung hatten wir leider Pech und der Direktzug von Madrid nach Vigo hatte keine Sitzplätze mehr frei. Da wir das Hotel in Vigo allerdings schon gebucht hatten, suchten wir nach Alternativen um dorthin zu gelangen. So entschieden wir uns dafür, von Madrid einen Zug nach Santiago de Compostela zu nehmen und von dort mit dem Bus weiterzufahren. Der Plan war also ziemlich einfach!

Als wir am Vortag abends in Vitoria-Gasteiz ankamen, kamen uns am Bahnhof ziemlich viele junge Leute entgegen, alle in weiß gekleidet mit roten Tüchern. Wir wunderten uns, was es damit auf sich hatte, legten den Gedanken aber ziemlich schnell beiseite. Nun kamen uns aber auf dem Weg zum Bahnhof dieselben jungen Leute wieder entgegen, alle immer noch mit derselben Kleidung und ziemlich fertig von der wohl wilden Nacht. Die weiße Kleidung war schmutzig und bei einigen entdeckten wir Blutflecken, was mich stutzig werden ließ.
Die ganze Sache wurde noch kurioser, als die jungen Leute die den Bahnhof verließen sich mit älteren Leuten abwechselten, die denselben Dresscode hatten und nun zum Bahnhof liefen. Ich wurde neugierig…
Wir schauten uns nun also deren Ziel an, als der Zug einfuhr: Pamplona. Und da war dann alles klar. Im Juli finden dort die Stierläufe statt und all diese Menschen waren auf dem Weg dorthin oder zurück. Die Menge an Menschen, die von einer kleinen Stadt wie dieser dorthin gingen, hat mich dann doch überrascht. Kaum vorzustellen, wie viele dann dort sein würden…
Mit der bizarren Vorstellung, dass Leute solche „Traditionen“ in solch großer Zahl und durch Generationen feiern, ging es für uns dann kurz vor elf Uhr los in Richtung Madrid. Glücklicherweise mussten wir uns den Zug nicht mit diesen Personen teilen.


Ich war froh, dass ich mein Tablet zum Zeichnen und Lernen dabei hatte. So hatte ich nämlich auch die Möglichkeit zu lesen, ohne das Gewicht und den Platz der vielen Bücher in Kauf nehmen zu müssen. Die Fahrt habe ich dazu genutzt, mit der Reihe der „ACOTAR“ bzw. zu deutsch „Das Reich der sieben Höfe“-Bücher zu starten. Sofort war ich in der spannenden Welt rund um die Fae gefangen und merkte dabei gar nicht, dass unser Zug ordentlich Verspätung machte.
So kamen wir mit fast einer Stunde Verspätung in Madrid an und hatten nur noch wenige Minuten für den Umstieg. Wie schon in den letzten Beiträgen erwähnt, gab es allerdings nirgendwo eine Info, ab welchem Gleis die Züge fuhren, nur im Bahnhof selbst. Wir eilten also mit dem schweren Gepäck bei 41° C zur Bahnhofshalle, da wir auch kein Personal unterwegs fanden. Die Strecke war leider keine Kurze, da der Bahnhof natürlich auch eine Baustelle war! Bis wir dort ankamen, hatten wir den Zug natürlich bereits verpasst.
Fluchend machten wir uns auf den Weg zum Info-Center, zogen eine Nummer und warteten. Da die Sitzplätze bereits ausgebucht waren und in nicht mal 45 Minuten bereits der letzte Zug des Tages fuhr, waren wir ziemlich gestresst. Im Info-Center war allerdings einiges los und die Nummern, die aufgerufen wurden, machten kaum Fortschritte. Wir entschieden uns also nach 20 Minuten des Wartens, unser Glück beim Boarding zu versuchen, in der Hoffnung, die Mitarbeiter hätten Verständnis und eine Lösung.
Beim Betreten des Bahnhofs wartete die nächste Überraschung auf uns: Gepäckkontrolle. Wer in den Bahnhof und damit zu den Gleisen will, musste wie am Flughafen erstmal durch eine Gepäckkontrolle. Da wir den Bahnhof auf dem Weg zum Info-Center verlassen hatten, mussten wir dort also durch. Das Boarding hatte bereits begonnen, als wir durch die Kontrolle kamen. Wir stellten uns schnell noch in die Schlange und als wir dran waren, versuchten wir unsere Situation zu erklären.
Der Mitarbeiter wirkte allerdings wenig kooperativ und war bereits dabei, uns abzuweisen, als ein anderer Mitarbeiter sich in das Gespräch einmischte. Dieser hatte vollstes Verständnis für uns und suchte für uns nach einer Lösung. Dabei stellte er fest, dass im letzten Waggon noch genau zwei Sitzplätze frei waren. Da diese in seinen Zuständigkeitsbereich fielen, sagte er uns, wir sollen uns auf direktem Weg dorthin begeben und uns keine Sorgen machen – er würde sich darum kümmern, dass wir problemlos nach Vigo kommen.
Uns fiel eine riesen Last vom Herzen. Wir hatten schon Sorge, die Nacht in Madrid verbringen zu müssen und unsere Hotelbuchung in Vigo zu verlieren. Als wir am Gleis ankamen und in unseren Wagen stiegen, waren wir von der Hitze und dem Stress komplett atemlos und nass geschwitzt. Kaum hatten wir unsere Plätze eingenommen, fuhr der Zug schon los – puh, war das knapp!
Die Verspätung und die Änderung des Zuges hatte aber auch Vorteile: Nun kamen wir nämlich in den Genuss eines spanischen Hochgeschwindigkeitszuges. Jeder Sitz war mit einem Bildschirm und Entertainment ausgestattet und mit allerlei Extras, um es sich während der Reise gemütlich zu machen. Es erinnerte eher an ein Flugzeug als an einen Zug. Über die Bildschirme erhielt man auch nützliche Informationen über die Reise und konnte so sehen wo man sich gerade befand, wie schnell der Zug fuhr oder wieviel Grad Außentemperatur gerade herrschten.




Trotz unserer Begeisterung über die gebotenen Annehmlichkeiten, hatten wir doch ständig ein mulmiges Gefühl. Wir hatten für diesen Zug ja keine offiziellen Tickets. Aber während der Fahrt kam der freundliche Zugbegleiter noch mal zu uns, um sich zu erkundigen, ob es uns gut ginge. Er versicherte uns auch, dass alles okay sei und wir uns keine Sorgen machen müssten. Und so fingen wir an die Zugfahrt in vollen Zügen zu genießen.
Wir bewunderten unterwegs die Veränderung der Vegetation. Rund um Madrid merkte man die starke Hitze und andauernde Trockenheit. Das Land erinnerte eher an eine Wüste. Kurze Zeit später wurde die Flora grüner und so wechselte sich das Landschaftsbild während der Reise immer wieder ab. Das liebe ich so am Zug fahren: Das unmittelbare Bewusstsein für die Landschaft und Umgebung.



Kurz nach 20 Uhr kamen wir dann in Vigo Urzaiz an. Der Bahnhof befand sich im Erdgeschoss eines riesigen Shoppingcenters. Dieses erstreckte sich über mehrere Ebenen mit unfassbar hohen Decken und war äußerst modern gebaut. Man fühlte sich wie in einem Labyrinth und wir mussten uns erstmal orientieren (und verlaufen) um den Ausgang zu finden. Als wir diesen gefunden haben, liefen wir ca. 15 Minuten zum Hotel und checkten ein.



Hier wartete schon die nächste Überraschung auf uns: Zu unserer Freude bekamen wir ein kostenloses Upgrade. So viel Glück an einem Tag… wir hätten Lotto spielen sollen!
Da es schon relativ spät war und wir ziemlich k.o., suchten wir nach einem schnellen Abendessen. In der Nähe des Hotels fanden wir ein ansprechendes mexikanisches Restaurant. Leider haben wir in Deutschland nicht oft die Gelegenheit authentisches mexikanisches Essen zu finden, da wir in unserer Region meist nur große Ketten haben. Also entschieden wir uns dafür und aßen dort super leckere Nachos und Tacos. Zum Schluss gab es noch das beste Dessert der Welt: Tres Leches. Ein fluffiger Kuchen der mit gezuckerter Kondensmilch übergossen wird. Dazu werden meist Beeren, in unserem Fall Erdbeeren, gereicht. Was für ein Highlight!
Anschließend machten wir noch einen Spaziergang durch die Stadt. Was ein kleiner Verdauungsspaziergang werden sollte wurde unverhofft zu einer längeren Nacht. Wir liefen Richtung Hafen und fanden unterwegs eine Bar mit Live-Musik. Die Leute feierten und tanzten und die Live-Band gab alles. Wir gingen dorthin um etwas zu trinken, wurden dann allerdings abgewiesen, da es sich um eine Privatveranstaltung handelte. Das hinderte uns allerdings nicht daran, es uns auf den Bänken des anliegenden Parks gemütlich zu machen und der Musik zu lauschen.
Später brachen wir wieder auf und fanden den Hafen. Dort verbrachten wir auch einige Zeit und bewunderten Nachtangler bei ihrer Arbeit und die weitläufig der Küsten. Da es bereits Nacht war, spiegelten sich die Lichter der Städte wunderschön im Wasser und boten einen spektakulären Ausblick. So verweilten wir dort auch eine ganze Weile bevor wir uns wieder Richtung Hotel aufmachten. Auf dem Rückweg fanden wir noch einige interessante Bauten und Geschäfte. Darunter war ein Restaurant, dass nach der Schließung Tiere wild in seinem Schaufenster arrangierte und diese boten einen witzigen Anblick.





Zu später Stunde kamen wir im Hotel an und fielen hundemüde ins Bett. Wieder einmal waren wir dankbar für die hilfsbereiten Menschen die uns unterwegs begegnet sind. Ohne den Zugbegleiter, der uns in Madrid trotz fehlender Sitzplatzreservierung an Bord des Zuges gelassen hatte, wären wir wohl nicht hier gelandet.
Etappe 3 war also ebenso (durch viel Glück) geschafft ✅️
Der nächste Tag konnte nur besser werden, denn dann würden wir auch schon unser Zielland erreichen: Portugal.
